Iring Fetscher

"Arbeit" ist in der Regel entfremdete Tätigkeit, in der sich das Sein eines Menschen nicht entfalten und bestätigt fühlen kann. Auch wenn Industriearbeit heute längst nicht mehr die erdrückenden Züge aufweist wie zur Zeit von Karl Marx, gilt vielfach noch die These, daß Lohnarbeit "Zwangsarbeit" ist . . .


Auch humanes, unentfremdetes Konsumieren ist möglich und wird nur durch den alles "verdrängenden Sinn des Habens" behindert. Es gibt Formen der "Aneignung", des "Insich-Aufnehmens", die das Sein bereichern, ohne irgend jemand zu berauben.


Der Gebrauchswert – das heilende Tun – wird nur noch zur unabdingbaren Voraussetzung, zum notwendigen Mittel für die Erzielung des Tauschwerts, des Geldlohns oder Honorars. Damit will ich keineswegs behaupten, daß es unter den Krankenschwestern und Ärzten keine gäbe, die ihren Beruf nicht als Berufung und Sinnerfüllung empfänden. Es gibt sie gewiß, und ich hoffe, ihre Zahl ist größer, als man annehmen könnte.


Die Frau wie Mann auf manipulierbare Sexualobjekte und Subjekte reduzierende Werbung stimmt mit dem Selbstverständnis einer großen Zahl von Zeitgenossen durchaus überein.


Die Menschen leben in den hochindustrialisierten Ländern im Durchschnitt länger, gesünder und weniger anstrengend; doch sie scheinen nicht glücklicher zu sein als ihre Urgroßeltern – im Gegenteil.


Die stärksten seelischen Motive für eine Veränderung der Welt stammen heute nicht – wie Marx annahm – aus der Unfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise, bis zur Befriedigung aller Bedürfnisse zu expandieren, sondern aus ihrer Unfähigkeit, befriedigende Formen der Produktion und glückverheißende Formen der zwischenmenschlichen Beziehungen zuzulassen.


Die Werbung schenkt uns neue Bedürfnisse und nimmt uns Stück für Stück die eigene Sprache.


Es läßt sich nichts Traurigeres über eine Welt aussagen, als daß sie ihr Glücksideal in der Maximierung von Orgasmen und im Drogen-Rausch erblickt. Sie verwechselt Lustmaximierung mit Glück.


Ohne Arbeitsteilung, Technik, entfremdete Arbeit, Konsumbedürfnisse, die sich scheinbar ins Unendliche steigern lassen, wären die Wunderwerke der naturbeherrschenden Technik nicht entstanden, der wir alle unseren – relativen – Wohlstand verdanken.


Was braucht der Mensch? Es wäre töricht, wenn wir behaupten wollten, der Mensch brauche gar nichts "zu haben".


Was der junge Marx die Wiederaneignung des vom Menschen Geschaffenen durch den Menschen genannt hat, steht immer noch aus.


Wenn alle ein Auto haben, stellt der Besitz eines Autos keine "Auszeichnung" mehr dar, dann muß "man" wenigstens ein besonders teures, neues, schnelles Auto haben – und einen Zweit- und Drittwagen für Frau und Kind.


Wer der Möglichkeit einer befriedigenden "Äußerung seines Seins" im Tun beraubt ist, der sucht notwendig nach einer Ersatzbefriedigung im Bereich des Konsums.


Wer sich durch eine Tätigkeit, mit der er sich zu indentifizieren vermag, nicht mehr zur Person entfalten kann, wer im Konkurrenzkampf um Konsumchancen und Einkommen auf die egoistische Existenz einer Monade zurückgedrängt wird, der ist auch immer weniger zu einer beglückenden personalen Beziehung mit anderen Menschen fähig.


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